Mist.

1. Mai 2021

Der Löwenanteil des Mülls, den wir alle so eifrig produzieren, landet ordnungsgemäß in Heizkraftwerken, Müllverbrennungsanlagen und im Recycling. Doch ein hartnäckiger Rest entkommt der Entsorgung und gelangt wild in die Natur. Die INVO.report-Redaktion hat eine Rundwanderung von Bergern nach Eggenstein und durch den Theuerwanger Forst wieder nach Hause unternommen – und allen Müll entlang des Weges aufgesammelt.

Wie sehr unsere Konsumgesellschaft von der Müllabfuhr abhängig ist, würde sich erst zeigen, wenn die dort beschäftigten stillen Helden des Alltags auf einmal nicht mehr vorfahren und unsere Mülltonnen entleeren würden: Innerhalb weniger Tage wüssten wir nicht mehr, wohin mit all den Verpackungen und was wir sonst nicht mehr brauchen wollen oder können. Weltweit fallen jedes Jahr über zwei Milliarden Tonnen Festmüll an, über 44 Millionen Tonnen davon sind Elektroschrott. Müll ist aber nicht nur das sattsam bekannte Umweltproblem, sondern auch ein begehrter Energie- und Rohstofflieferant. Das aber gilt naheliegenderweise nur für den Müll, der gesammelt, sortiert und entsprechend verwertet wird. Und damit nicht für den Müll, der das gut organisierte österreichische Müllentsorgungs- und -verwertungssystem umgeht. Aus verschiedenen Gründen, denn der in der Fachsprache als „verirrter Müll“ bezeichnete Abfall in freier Wildbahn geht nicht ausschließlich auf „Littering“ – mutwilliges Wegwerfen – zurück.

Der Wind, das himmlische Kind

Etwas Wind genügt bereits, um Müll aus offenen Mistkübeln zu befördern. Oder Dämmstoffabschnitte und Verpackungsmaterial von Baustellen hinaus ins Land zu wehen. Wieviel so insgesamt in Umlauf kommt, weiß niemand genau zu sagen. Bei knapp 2.800 Flurreinigungen in Österreich sammelten über 160.000 Freiwillige allein im Jahr 2018 an die 1.000 Tonnen Abfall ein. Der stattliche Müllberg setzt sich zum überwiegenden Teil aus Verpackungen zusammen, wobei jene aus Kunststoff weit vor Glas und Metall liegen.
Apropos Metall: Littering-Rekordhalter in Sachen Aluminium sind leer getrunkene Red-Bull-Dosen, was logisch erscheint, wenn man einen Blick auf die Littering-Statistik wirft. Denn die meisten Müllsünder sind junge Erwachsene im Alter zwischen 20 und 30 Jahren. Wie den meisten von uns wird den wenigsten von ihnen klar sein, was sie insbesondere mit dem lässigen Littern von Kunststoff anrichten: Die meisten Kunststoffe zerfallen nicht rückstandsfrei, sondern werden von Wind und Wetter zu mikroskopisch kleinen Teilchen aufgearbeitet, die als Mikroplastik allgegenwärtig sind: Mikroplastik ist heute auf dem Großglockner ebenso nachweisbar wie im Trinkwasser, im Wald und im Boden. Längst ist der feinstoffliche Müll in der Nahrungskette und im menschlichen Körper angekommen: Bereits Ungeborene kommen über die entsprechend belastete Plazenta ihrer Mutter mit Mikroplastik in Kontakt.

Nicht einmal ein Totalverbot würde helfen

Perverserweise enthalten viele Kosmetik- und Pflegeprodukte von Haus aus und in voller Absicht sogenanntes primäres Mikroplastik. Auch das Waschen von Funktions- und Outdoor-Kleidung setzt in vielen Fällen Mikroplastik frei und lässt es direkt in den Wasserkreislauf gelangen.
Medizinische Erkenntnisse zu den Langzeitfolgen gibt es noch nicht. Die Vergangenheit und die Gegenwart zeigen, dass alle moralischen Appelle zur Unterlassung von Littering wirkungslos bleiben. Schutz würde derzeit nicht einmal ein Totalverbot aller Mikroplastik freisetzenden Kunststoffe bieten, zumal der Abrieb von Autoreifen und Schuhsohlen zu den Großverursachern von Mikroplastik gehören. Im Gegensatz zu den zahlreichen mikroplastikfrei abbaubaren Kunststoffen, die es längst als Alternative gibt, wird die Entwicklung mikroplastikneutraler Reifen noch Jahre dauern.

Verpackungsmüll, Styropor und ein Schlauch

Zurück in die Gegenwart, zurück nach Vorchdorf: Die über 10 km lange Sammeltour von Bergern nach Einsiedling und weiter nach Eggenstein, von wo aus es hinauf zum Theuerwanger Forst und durch die Fischböckau wieder nach Hause ging, bestätigte im Großen und Ganzen den allgemeinen Kenntnisstand zum Littering: Dass der ob seiner Kleinheit am öftesten übersehene und am meisten unterschätzte Müll die hochgiftigen Zigarettenstummel sind. Sie auch noch mit einzusammeln, erwies sich als praktisch undurchführbar – außer man hätte die Wanderung zum Tagesprogramm gemacht. Die Ausbeute fiel erwartungsgemäß reich aus, wenn auch keine einzige PET-Flasche und lediglich eine Aludose Teil der Müllkollekte waren. Gut vertreten war hingegen gewerblicher Abfall, der sich vorzugsweise entlang von Waldsäumen und Äckern fand. Besonders heimtückisch: Dämmstoff aus Styropor, das sehr vorsichtig angegriffen werden muss, um nicht sofort in einzelne Kügelchen zu zerfallen.

Der Löwenanteil der anrüchigen Beute entfiel auf die Straßenpassagen der Route; vergleichsweise wenig lag im Theuerwanger Forst. Wenn auch von dort das neben einem rostigen Schlüssel zweite Highlight von dort stammt: ein Fahrradschlauch.

Die Fundstücke wurden nach dem Fotoshooting bestmöglich getrennt und in die entsprechenden Mülltonnen entsorgt.

Interessante Links: Global 2000 über Littering in Österreich
Littering-Report des Umweltbundesamtes

2 Gedanken zu „Mist.

  1. df

    Wirklich ein Mist, was ihr da so zu diesem Thema zu berichten habt. Die Alu-Dose der Bullen in der Natur könnte man ja recht einfach vermeiden, wenn denn das Verantwortungsbewusstsein bei jedem Einzelnen nur ein wenig zunehmen würde. Traurig stimmt mich aber das Desinteresse von Industrie oder Gewerbe, ohne das natürlich verallgemeinern zu wollen. So geben zB. große Unternehmen Millionen für eine nervige Werbefamilie Putz (sic!) im TV aus, um ständig unvorstellbare Rabatte auf Mondpreise zu bewerben. Ein paar Prozent weniger würden aber schon helfen, um den Mitarbeitern hier im Ort, die nun anstatt von Gartenmöbeln ganz viele Pakerln bearbeiten, eine intensive Schulung zu verpassen, was denn der sorglose Umgang mit Verpackungsmaterialien aller Art in der Nähe eines verträumten Bacherls wie der Dürren Laudach im Zusammenspiel mit dem himmlischen Wind so bewirkt. P.S. Ich möchte der Fairness halber anmerken, dass der Unternehmensleitung in Wels Hinweise und Beschwerden ein wirkliches Anliegen waren – einzig, der Mensch vor Ort muss schon auch mitmachen.

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