Die ÖVP hat den Bogen überspannt

16. Dezember 2024
Kommentar von Michael Praschma

Zum „Stasi-Sager“ von ÖVP-Fraktionsobmann Mario Mayr ist über Onlinemedien der Liste Vorchdorf (LV) und der ÖVP bereits einiges an Kritik bzw. Rechtfertigung bzw. „Entschuldigung“ – über die Anführungszeichen gleich mehr – veröffentlich worden. Es reicht aber nicht.

Die Sache selbst ist schnell erklärt. Die LV hat in der Gemeinderatssitzung am 10. Dezember beantragt, dass alle Anliegen von Bürger:innen an die Gemeinde zukünftig in einer Liste erfasst werden, aus der jederzeit der Sachstand einer Angelegenheit ersichtlich ist. Damit können sowohl Gemeinderäte als auch Mitarbeiter:innen jederzeit leichter Auskunft geben. Außerdem lassen sich Verzögerungen erkennen. Das Ganze soll der Transparenz dienen.

Nun kann man sagen, das sei überflüssig; das System – d. h. die Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und politischen Gremien – funktioniere gut, wenn es um solche Bürgeranliegen geht. Das hat Mario Mayr ins Feld geführt. Es erklärt allerdings nicht, woran es liegt, dass man eben doch von manchen Dingen sehr lange nichts mehr hört. Damit ist wohlgemerkt nicht gesagt, dass jemand am Gemeindeamt schlecht gearbeitet hat; die Ursache kann ja auch woanders liegen. Oder man könnte wie Norbert Ellinger (Grüne) fragen, wie viel zusätzlicher Aufwand mit so einer Liste verbunden ist. Auch interessant.

Aber das ist uns alles wurscht

Ein erster erkennbar unsachlicher, darüber hinaus aber auch absurder Einwand kommt von Alex Schuster (FPÖ). Er hält Wolfgang Ettinger (LV), der den Antrag mit begründet hatte, vor, er habe selbst als Ausschussobmann Anträge mehrfach vorschriftswidrig nicht auf die Tagesordnung gesetzt. Mag sein, ist allerdings gar nicht Thema. Aber gerade so etwas würde ja mit der beantragten Listenführung offenkundig.

Mario Mayr weist dann zutreffend darauf hin, dass die Sitzungspläne aller Gremien ja vorlägen. Und dem Gemeindevorstand stehe keine Kontrollfunktion in solchen Angelegenheiten zu. Das tut allerdings beides nichts zur Sache, es soll aber wohl auch den Antrag diskreditieren. Der Dialog zwischen Gemeindeamt und Bürger funktioniere. Und dann kommt es: „Es braucht hier keinen Wolfgang Ettinger, der mit Stasi-Phantasien spielt“.

Jetzt atmen wir erst einmal tief durch

Die Parallele zwischen dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR und dem LV-Antrag fällt natürlich sofort ins Auge: Listen! Es sollen Listen geführt werden. Aber darauf will Mario Mayr wohl nicht heraus, sonst hätte er ja auch etwas Naheliegenderes als Vergleich wählen können, z. B. die Liste der Tagesordnungspunkte im Gemeinderat. Die Aussage wäre dann ungefähr gewesen: Die LV will alles wissen, um anschließend I-Tüpferl zu reiten.

Doch Scherz beiseite. Entweder weiß Mayr nicht, wofür die Stasi stand; dann fehlt es ihm in einem Ausmaß an politischer Bildung, das ihn für ein politisches Amt disqualifiziert. Oder er weiß es, dann fehlt es ihm in einem Ausmaß an Augenmaß für politische Vergleiche, das ihn für ein politisches Amt disqualifiziert. Oder er hat nicht bedacht, was er da sagt, dann mangelt es ihm in einem Ausmaß an Impulskontrolle, das ihn für ein politisches Amt disqualifiziert.

Grober Keil auf groben Klotz, einverstanden? – Dazu ließe sich jetzt einiges zur Verteidigung Mayrs sagen, aber, Spoileralarm: nichts davon zieht.

  1. „Shit happens/im Eifer des Gefechts/jeder macht mal einen Fehler“ … Nein, denn Mayr ist (ebenso wie Johann Limberger und andere) Wiederholungstäter. Und es war gar kein Gefecht bis zu diesem Moment. Und es war auch kein Fehler, sondern eine gezielte Attacke.
  2. „Und was ist mit den zahllosen anderen Attacken der Liste Vorchdorf?“ … Davon war bei gegebener Gelegenheit die Rede. Aber seit wann ist denn ein Fehlverhalten Rechtfertigung für ein anderes? Es handelt sich ja hier nicht um Notwehr, wo man manchmal Dinge darf, die sonst verboten wären.
  3. „Inzwischen hat sich Mayr entschuldigt, also wieso jetzt noch nachtreten?“ … Die Entschuldigung auf der Facebookseite der ÖVP Vorchdorf besteht aus einem Dreizeiler am Ende einer längeren (und hinsichtlich der Faktenbasis fragwürdigen) Kritik am LV-Antrag. Sie lautet: „Meine Formulierung der ‚Stasi-Fantasien‘ ist in einer zu harten Art und Weise genannt worden, wobei sie lediglich die permanenten Überwachungsfantasien beschreiben sollten. Für diese zu harte und unsachliche Formulierung möchte (das „ich“ fehlt bezeichnenderweise) mich entschuldigen.“ Das ist gar nichts. Denn:
Was ist eine Entschuldigung?

Der vermeintliche Penitent versucht sich hier in einer inzwischen leider weit verbreiteten Unsitte: Er sagt, er entschuldige sich, und glaubt, sich damit entschuldigt zu haben. Das ist natürlich Unfug. Die Mindestvoraussetzungen für eine Entschuldigung sind Erklärung der Tat; dann glaubhafte Versicherung, es nicht mehr tun zu wollen (was ohne die vorangegangene Erklärung unmöglich ist), schließlich das Angebot einer Wiedergutmachung. Damit wäre es möglich, um Entschuldigung zu bitten – diese zu gewähren ist jedenfall nicht Sache des Schuldigen.

Gut, wir sind hier nicht im Grundseminar „Ethik“. Aber wenn sich einer schon als Person aus der Tat herausschleichen will („meine Formulierung … ist … genannt worden“ – was ist denn das für ein Geseire?), und dann nicht einmal ansatzweise benennt, um was es geht („Stasi-Phantasien“ ist weder „zu hart“ noch „unsachlich“ sondern einfach eine infame persönliche Diffamierung) – dann ist das keine Entschuldigung, sondern peinlich.

… und worum geht es wirklich?

Wir vergeben hier aber keine Haltungsnoten, sondern es geht um das Ansehen des Gemeinderates. Und da muss sich heute die ÖVP einmal sagen lassen, dass sie angesichts des eigenen Verhaltens (nicht immer, aber diesmal bestimmt) den Ball der Kritik an anderen ganz flach halten sollte. (Stichwort: Wochenlange Rücktrittsforderungen nach dem „Limberger-Sager“.) Grundsätzlich, weil sie die Bürgermeisterpartei ist und deswegen etwas höheren Maßstäbe an die eigene Souveränität, Korrektheit und den Respekt auch dem Gegener gegenüber zu genügen hat. Und als stärkste Fraktion (samt Obmann!) trägt sie eine erhöhte Verantwortung für den „parlamentarischen“ Stil im Gemeinderat.

Dazu passt es übrigens auch nicht, wenn Vizebürgermeisterin Margit Kriechbaum als Sitzungsleiterin entgegen der Gemeindeordnung den Antrag zum Lkw-Fahrverbot selbst vorträgt, obwohl das eindeutig Sache des Straßenausschuss-Obmanns Wolfgang Ettinger gewesen wäre. Das ist pikant nicht nur, weil viele Betroffene im Publikum sitzen, der Vortrag also „werbewirksam“ ist, sondern auch, weil sich Ettinger in der gesamten Angelegenheit außerordentlich eingesetzt hat. Ihm hier nicht das Wort zu gewähren mit dem schnodderigen Hinweis, er könne sich ja später zu Wort melden (welche Gnade!) bzw. sich bei der Gemeindeaufsicht beschweren, ist entweder Zeichen von Unkenntnis der Gemeindeordnung – das wäre nach drei Jahren im Amt ein Armutszeugnis – oder eine gezielte Provokation. Und welches Ziel könnte die wohl haben?

Es geht hier um das Ansehen des Gemeinderats. Gemeinderäte, die durch ihr Verhalten dieses Ansehen beschädigen, missachten damit also zugleich ihre Wähler. Das gilt für alle. Diesmal ist diese Kritik deshalb und nur deshalb besonders deutlich, weil es die ÖVP ist, die selbst am lautesten schreit, wenn sie das Verhalten anderer Mandatare verurteilt.

Ein Gedanke zu „Die ÖVP hat den Bogen überspannt

  1. Claudia Edlinger

    Liebes Reporter Team, als allererstes möchte ich euch einmal danken, was ihr für tolle, FREIWILLIGE Arbeit hier leistet, so erfährt wenigstens auch der ’normale‘ Bürger von Vorchdorf auch, was sich um und in der Gemeinde so alles tut. DANKE.

    Das Nächste ist dieser Artikel. Ich muss sagen, ich habe geglaubt, ich höre nicht richtig (hab 2× reingehört), jaaa, er hat es wirklich gesagt…
    Meines Erachtens ist hier eine öffentliche (würde sagen, bei einer GR-Sitzung) Entschuldigung angebracht. Facebook ist hier die falsche Seite. Ich würde auch sagen, liebe ÖVP, zügelt auch eure Leute, wie ihr es auch von LV verlangt habt, gleiches Recht für alle. Und … arbeitet endlich MITEINANDER, denn so kann und darf es nicht mehr weitergehen.

    Ein frohes und besinnliches Weihnachtsfest euch allen.

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