17. Juli 2025
Ganze Generationen sind über die Jahre ihrer Schullaufbahn in Vorchdorf mehr oder weniger täglich an dem großen Fresko im Erdgeschoss der heutigen Mittelschule vorbeigegangen – meist ohne es genauer zu betrachten, geschweige denn sich damit auseinanderzusetzen. Die Entstehung des Bildes im Jahr 1943 lässt vermuten, dass nationalsozialistische Propaganda dahinter steckt. Doch dagegen spricht vieles.

Eher idyllisch als ideologisch: Das Fresko von Erwin Lang (hier ein Ausschnitt) weist keine NS-Symbolik auf.
Wo sind die Zöpfe, die für „deutsche“ Mädel auf Bildern aus der NS-Zeit fast obligatorisch waren? Das ist nur eine der vielen Fragen, die sich zu dem Fresko des österreichischen Künstlers Erwin Lang (1886–1962) stellen. Fragen, die die teils rätselhaft erscheinende Aussage des Bildes betreffen, aber auch die Merkwürdigkeit, dass ein Mann von den zuständigen nationalsozialistischen Stellen mit diesem Werk beauftragt wurde, der jüdischer Herkunft war und zahlreiche Kontakte zu anderen Künstler:innen gepflegt hatte, die im Dritten Reich verfemt waren.
Der nationalsozialistische Vorzeigebau des Gaus Oberdonau
Die Vorchdorfer Schule war „das sichtbare Zeichen für den Erneuerungswillen und die Tatkraft des Nationalsozialismus’“, hieß es bei der Grundsteinlegung 1938. Vertretern des Reichserziehungsministeriums gefiel sie später von allen Neubauten Oberdonaus am besten, vermeldet die Schulchronik. Der Bau war also prominent. Man kann davon ausgehen, dass bei seiner Ausgestaltung nichts dem Zufall überlassen wurde – schon gar nicht ein wandfüllendes Bild in der großen Eingangshalle.
Auf den ersten und vielleicht laienhaften Blick wirkt Langs Fresko typisch für die NS-Zeit: schon irgendwie sehr „deutsch“, heile Welt, nichts Kritisches oder Unmoralisches nach den Maßstäben der damals Herrschenden, auch nichts von dieser „entarteten Kunst“, die der NS-Ideologie so verhasst war. Doch bei genauerem Hinsehen – da fehlt auch wieder etwas: „Zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl“ ist die Jugend hier gerade nicht, die Kinder sind eher verspielt, keines der abgebildeten Mädchen trägt den sittsamen Zopf; auch ein männlicher arisch-athletischer Körper ist nirgends zu finden, kein Hakenkreuz, keine Uniform. Da war der Holzfries, der anfangs die Balkonbrüstung über dem Schulportal zierte, ein anderes Kaliber. Er musste nach dem Krieg „entschärft“ werden; Hakenkreuz, Hitlergruß und marschierende HJ-Buben kamen unter Verschluss.
Das große Schweigen – warum?
Während dieser Kinderfries des „gottbegnadeten Künstlers Franz S. Forstner“ von Anfang an und auch noch im Heimatbuch von Rudolf Schwarzelmüller große Aufmerksamkeit erntet, wird Langs Fresko, obwohl doch unübersehbar, fast nirgends auch nur erwähnt, nicht einmal in der Schulchronik. Ein dürrer Satz dazu findet sich, nach fast 40 Jahren des Schweigens, in der Festschrift zur Markterhebung 1982. Erst zuletzt, als die Pläne zum Schulum- und -neubau der Umsetzung näherrücken, kommt der Gedanke auf, dass man das Fresko nicht einfach dem Abriss zum Opfer fallen lassen dürfte.
Mehrere Schüler:innen aus verschiedenen Zeiten haben bekundet, dass Langs Werk nie ein Thema – etwa im Kunstunterricht – war. (Erich Spitzbart hat allerdings geäußert, er habe das durchaus zum Unterrichtsgegenstand gemacht.) Über die Gründe dafür kann man nur spekulieren. Ein unbestimmtes Unbehagen beim Rückblick auf die politisch belastete Zeit könnte eine Rolle gespielt haben.
Erwin Lang galt nach den Nürnberger Rassegesetzen als „Mischling ersten Grades“, vulgo Halbjude. Er verdankte den Auftrag für das Fresko einflussreichen Fürsprechern aus NS-Kreisen, und er hatte erfolgreich eine „Minderung des Versippungsgrades“ beantragt, konnte also seinen Beruf als Künstler wieder unbeschränkt ausüben. Sein eigenes Kunstverständnis trennte Kunst und Ideologie – Freundschaften und künstlerische Kontakte hatte er eben nicht nur zu Kollegen, die den Nazis nicht passten, sondern auch zu solchen, die dem NS-Regime positiv gegenüberstanden. Und er hielt still; seine Werke aus der Zeit zwischen dem Anschluss Österreichs und Kriegsende, auch das Schulfresko, signalisieren das durch einen verhalteneren Ausdruck, sie sind blasser und kraftloser als das bisherige Schaffen des zu seiner Zeit prominenten Künstlers.
Dennoch: Das Bild wird von Sachverständigen aus mehreren Gründen für erhaltenswert gehalten. Es ist das einzige in dieser Größe erhaltene Wandbild aus der NS-Epoche in ganz Oberösterreich, stellt Erich Spitzbart fest. Es sei „nicht nur durch seine Qualität und Größe aus kunsthistorischer Sicht absolut erhaltenswert, sondern auch als historisches Dokument“, sagt der Wiener Historiker Gernot Heiss, außerdem als „ein Stück der Geschichte der ehemaligen Schülerinnen und Schüler“ (Architekt Raimund Dickinger) und „im Sinne einer kritischen Erinnerungskultur“ (Martin Sturm).
Dieser Beitrag fußt auf einem ausführlichen Aufsatz von Bruno Schernhammer zu Erwin Lang und dem Fresko in einer Schrift zur Ausstellungseröffnung im Schloss Hochhaus vom April 2025. Die Broschüre liegt in der Ausstellung und im Museum der Region (Kitzmantelfabrik) auf.

Ich bedanke mich für die gute und sachliche Abhandlung über das Fresko und Erwin Lang. Dazu zwei Anmerkungen:
Mein Essay erschien erstmals im März 2025 in der Zeitschrift „Zwischenwelt“ 1/2025. Bis zu diesem Zeitpunkt fand sich niemand, der jemals über das Fresko in der Schule oder bei anderen „Ortsfeiern“ gehört hatte. Bei den Workshops, die ich Ende Juni 2025 für LehrerInnen und PensionistInnen durchführte, erzählten zwei (ehemalige) Schülerinnen, von Erich Spitzbart im Unterricht vor dem Wandbild über das Wandbild unterrichtet worden zu sein. Seine Auskunft ist also richtig. „Ein einsamer Rufer in der Wüste“, mein Kommentar.
Seit gestern liegt eine Stellungnahme des Denkmalamtes OÖ vor. Es spricht sich „für einen Verbleib des Wandgemäldes im Zuge des Umbaus des Schulgebäudes aus.“ Kritisch angemerkt wird darin die fehlende Kontextualisierung des Freskos: „Unabdingbar“ sei eine solche.