26. Oktober 2022
Reportage von Michael Praschma / Fotos von Andrea Hahn
Gedenktafeln kommen oft erst nach langer Zeit, und man kann mit Recht fragen: Warum? Wenn aber nun nach rund 80 Jahren der Menschen gedacht wird, die beim Bau der Mühltaler Autobahnbrücke gestorben sind, dann steht zunächst im Vordergrund, dass spät besser ist als nie. Diese Tafel, die am Nationalfeiertag eingeweiht wurde, verdankt sich engagiertem Einsatz.
An die Opfer des Autobahnbaus hatte tatsächlich „schon“ 20 Jahre nach Ende des 2. Weltkriegs die oberösterreichische Landesregierung in einer Festschrift erinnert. Doch wohlgemerkt: gemeint waren die Opfer beim Weiterbau in den 50er-Jahren – nicht jene unter grauenvollen Bedingungen beschäftigten Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter in den Jahren bis 1943. Dass es die auch in Vorchdorf gab und dass an dieser Baustelle „leider auch Tote zu beklagen“ waren, erwähnt das Heimatbuch von Schwarzlmüller von 1959 zwar, ohne aber auf die entsetzlichen Umstände näher einzugehen. Hier werden eher fasziniert hunderttausende Kubikmeter Erdbewegungen und die Leistungsfähigkeit akribisch beschriebener Baugeräte aufgelistet.
Wie lebende Leichen
Diese verquere Perspektive rückte Sachbuchautor Bruno Schernhammer (siehe unten) bei der Gedenkveranstaltung eindrücklich zurecht. Den Bericht eines Gendarmeriebeamten zitierend, der die Zwangsarbeiter wie „lebende Leichen“ aussehend beschrieben hatte, beleuchtete er deren Lage mit einem Vorfall, den ein Schulkind beobachtet hatte: Ein Fuhrwerk passierte die holprige Almbrücke und verlor einzelne der geladenen Erdäpfel, die ins Wasser rollten; die völlig ausgezehrten Männer seien von der Baustelle ins eisige Wasser gestürzt und hätten die gefundenen Erdäpfel roh verschlungen.
Eine Reihe von Namen der in Vorchdorf Umgekommenen las Schernhammer zum Abschluss vor, unterlegt nur von einem Violinstück, gespielt von Maria Wahlmüller – ein Moment, der wohl nicht wenigen an die Nieren ging…
Hier wurde wirklich einmal jene „Wolke der Unwissenheit“ zur Seite geschoben, die lange Zeit und teils bis heute die Realität des Nationalsozialismus’ verdeckt. Es war Pater Franz Ackerl, der den Tocotronic-Liedtitel mit der Wolke zitierte, um die Voraussetzung für eine Versöhnung zu benennen – wenn denn eine solche möglich ist. Auch vor der eigenen Tür, nämlich der Kirche, kehrte P. Franz in seinen Worten vor der eigentlichen Einweihung der Gedenktafel. Dabei wies er auf die fruchtlose „Appeasement-Politik“ der katholischen Kirche beim „Anschluss“ 1938 hin. Immerhin habe es aber Einzelne gegeben, die offenbar die Augen nicht verschlossen hätten: In der Kirchhamer Pfarrchronik fände sich der lapidare Hinweis, Pfarrer und Kaplan seien gezwungen worden, den Eid auf Hitler zu leisten.
Von den „Straßen des Führers“ zum Wiederaufbau
Eine weitere Liedzeile warf an diesem Vormittag ein Schlaglicht auf die geschichtlichen Hintergründe und ihre (Nicht-)Aufarbeitung: „Hitler war ein böser Mann, doch baute er die Autobahn“ (von den „Schmetterlingen“) – eingebracht von Bertrand Perz, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Zeitgeschichte und Professor an der Uni Wien. Denn einige, teils nationalsozialistische Mythen haben sich hartnäckig gehalten. Weder sind Autobahnen eine Erfindung der Nazis, noch dienten sie militärischen Zwecken – dazu waren sie im Gegensatz zur Eisenbahn weder zweckmäßig noch überhaupt jemals so weit ausgebaut, wie es die Propaganda glauben machen wollte.
Zu den grandiosen „Straßen des Führers“ wurden sie erst relativ spät. Die zuvor schon anderswo geplanten bzw. gebauten Autobahnen galten zunächst als Ausgeburt „großkaptalistisch-jüdischen“ Denkens. Doch dann sollten sie durch Monumentalität beeindrucken. Davon zeugen bis heute Bauwerke wie eben die Mühltaler Brücke, aber auch großartige Sichtachsen wie die lange Gerade mit dem Traunstein als Fluchtpunkt, wenn man von Linz kommend Richtung Westen fährt.
Der Autobahnbau wurde mit heroisch dargestellten Arbeitern gezeigt, natürlich nicht mit den unter elenden Umständen schuftenden Zwangsverpflichteten. Auf sechs Autobahnkilometer kam ein Toter. Auch nach dem Krieg wurde dieses Kapitel mit Stillschweigen übergangen, nicht bloß in örtlichen Heimatbüchern: Die Autobahn, das war jetzt „Wiederaufbau“, sagte Perz.
Erfreut über großes Interesse
Gut 150 Menschen nahmen an der Gedenkveranstaltung unter den Bögen der Autobahnbrücke teil. Überrascht und erfreut darüber zeigten sich Bettina Hutterer, als Obfrau des Kulturausschusses federführend für die Veranstaltung, und Bürgermeister Johann Mitterlehner, die beide Dank an die Beteiligten richteten, darunter Dr. Claudia Westreicher, Obfrau des Heimatvereins, die ASFINAG sowie der Kurator der evangelischen Kirchengemeinde und Heimatforscher Georg Breckner, der ebenfalls zur Einweihung sprach.
- Buchhinweis: Schon 2018 erschien zum Thema ein dokumentarischer Roman:
Bruno Schernhammer: Und alle winkten. Im Schatten der Autobahn; Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft, Wien, 216 S., Euro 21,00 - Mit beim Brückenbau zu Tode Gekommenen beschäftigt sich auch ein lesenswerter Gastbeitrag von Bruno Schernhammer in Ausgabe 4/2022 von „GRÜNerLEBEN“, der Zeitung der Grünen Vorchdorf, auf den Seiten 4 und 5. Die Zeitung gibt es auf der Website der Grünen zum Download.
- Ebenfalls lesenswert ist der Bericht des Kollegen Edmund Brandner in der Oö. Nachrichten.
Für mich war das ein würdiger Nationalfeiertag. Nach 60 Jahren in Berlin bin ich vor kurzem nach Oberösterreich zurückgekehrt, wo meine beiden Väter mit den Nationasozialisten verbunden waren – der eine als Propaganda-Autor und der andere als Gutsherr mit Zwangsarbeitern. Es hat alles zu lange gedauert mit der Aufklärung und der Erinnerung, aber so konnte ich heute, 75 Jahre alt, dieses Gedenken mit vielen Menschen aus mehreren Generationen begehen und erleben. Das war ein guter Tag.