Wohnen in Vorchdorf: Leistbar oder um 30 % zu teuer? (Teil 2 von 2)

22. April 2021

Im zweiten Teil unseres Artikels zu leistbarem Wohnen im Allgemeinen und Vorchdorf im Besonderen widmen wir uns der kommunalpolitischen Debatte, einer nachvollziehbaren Definition der Sache und rechnen ein Beispiel vor.

Der Bau- und Wohninvestment-Boom wirft nicht nur Fragen zum Verbrauch der nicht beliebig vermehrbaren Ressource Boden und zum Klimawandel auf – die Bauindustrie beansprucht immense Energie- und Rohstoffmengen. Es geht auch um die Verteilung des Wohlstandes in Österreich und darum, was tatsächlich noch als leistbares Wohnen gelten darf. Bei Preisen von 3000 Euro und mehr für den Quadratmeter Vorchdorfer Wohneigentum ist das eine berechtigte Frage. Der Gemeinderat hat sie am 9. Februar durchaus lang und spannend diskutiert. Stolze 6,5 Seiten nimmt das im Sitzungsprotokoll ein.

Antrag mit und ohne Ergebnis

Auslöser der kommunalpolitischen Debatte war ein Antrag von ÖVP-Dissident Albert Sprung, der unterstrich, dass es seit 12 Jahren kein gemeinnütziges Wohnbauprojekt mehr in Vorchdorf gegeben habe. In seinem Antrag forderte Sprung eine sensibilisierte Raumordnung und die Aufnahme geförderter Mietwohnungen in das räumliche Entwicklungskonzept REK. Darüber hinaus warb der wilde Abgeordnete zum Gemeinderat für eine Erhöhung der Wohnverfügbarkeit u. a. durch ein kommunales Leerstandsmanagement und ein Baulandsicherungsmodell. Da sich naheliegenderweise niemand gegen leistbares Wohnen aussprach, wurde der Antrag schließlich auch einstimmig angenommen. Trotz heißer Diskussion blieb eine verbindliche Definition von leistbarem Wohnen offen.

Je nach Brieftasche

Mit Bürgermeister Schimpl sind sich beispielsweise die Grünen Vorchdorf darin einig, dass zur Beurteilung der Leistbarkeit nicht nur Quadratmeterpreise, Kreditraten und Mietvorschreibungen berücksichtigt werden sollen, sondern auch die lokalen Lebenshaltungskosten. Sprich: Wer so zentral wohnt, dass er kein Auto braucht und für einen Kindergartenplatz kein Vermögen ausgeben kann, kann sich Wohnraum auch dann leisten, wenn er ziemlich teuer ist. Abgesehen davon, dass ein autofreies Leben am Land eine für viele leider unbewältigbare Herausforderung bleibt, ist das aber noch keine belastbare Definition von leistbarem Wohnen. Denn die Leistbarkeit ist und bleibt eine Frage der Brieftasche.

Die Definition mit der 40-Prozent-Regel

Neben schwammigen oder ideologischen Definitionen gibt es aber zumindest eine plausible. Die stammt von der Statistikbehörde der Europäischen Union und besagt, dass die Wohnkosten maximal 40% des Haushaltsbudgets in Anspruch nehmen dürfen, wenn Wohnen noch als leistbar gelten will. Sind die Kreditraten oder Mieten im Zusammenspiel mit den Betriebskosten höher, muss von Wohnkostenüberlastung gesprochen werden. Im 8-Millionen-Einwohnerland Österreich sind davon über 620.000 Menschen in Mietverhältnissen betroffen.
Für Vorchdorf liegen verständlicherweise keine Zahlen vor, doch Erhard Etlinger weiß aus seiner Zeit im Bankgeschäft, dass viele über ihre Verhältnissen wohnen: „Weil sie zu wenig Eigenkapital gehabt haben, weil sie zu groß gekauft haben und weil sie die Faustregel ignoriert haben, dass man das 13. und 14. Monatsgehalt nicht in die Finanzierung hineinrechnen soll.“

Ein Projekt finanziert das nächste

Dass die Refinanzierung von Wohnungseigentum in Vorchdorf ziemlich anspruchsvoll geworden ist, hat laut Etlinger mehrere Gründe: Wie beim Auto geht der Trend beim Wohnen in Richtung Größe. Heute wohnen Paare oder gar Singles im Regelfall auf einer Wohnfläche, die sich früher eine mehrköpfige Familie geteilt hat. Dazu kommt das Preisniveau. Etlinger spricht offen aus, was Insider sonst nur hinter vorgehaltener Hand sagen: Dass praktisch jede neu gebaute Wohnung in Vorchdorf um 30 Prozent mehr kostet als wirtschaftlich notwendig wäre. Warum? Weil so die Basisfinanzierung für das nächste Wohnbauprojekt sichergestellt ist. Dazu kommen die rigorosen und von allen Bauträgern im Chor beklagten gesetzlichen Bauvorschriften, die die Kosten weiter in die Höhe treiben. Sei es wie es sei: Solange die Nachfrage stabil bleibt, geht die Rechnung auf.

63 Quadratmeter, 200.000 Euro

Der Bauboom und die Preisentwicklung ist mittlerweile selbst manchen, die daran verdienen, nicht mehr geheuer. Helga Brindl von der gleichnamigen Bauunternehmung im benachbarten Bad Wimsbach nimmt eine Baublase wahr, die früher oder später platzen muss. Auch so manchem Vermieter ist nicht mehr ganz wohl in seiner Haut. Wie etwa einem der Eigentümer von Wohnraum in der Wohnwelt Laudach, konkret eines 63 Quadratmeter großen Apartments. Die mit Wohnküche und Schlafzimmer auf einen kinderlosen Single- oder Paarhaushalt zugeschnittene Wohnung, zu der der jetzige Eigentümer im Zuge einer Übergabe innerhalb der Familie gekommen ist, hat vor vier Jahren an die 200.000 Euro gekostet.

„Ich finde es selbst einen Wahnsinn“

Aktuell ist die Wohnung an einen Single vermietet. Um 9,50 Euro pro Quadratmeter, mit denen sich der Vermieter bewusst „an der unteren Grenze des ortsüblichen Mietniveaus für Neubauwohnungen“ bewegt. Mit den Betriebs- und Heizungskosten ergibt das rund 800 Euro Monatsmiete. Einen Betrag, den der Vermieter selbst „einen Wahnsinn“ findet. Aus dem gibt es aber auch für ihn kein Entkommen. Denn die Wohnung muss refinanziert werden. Das geht sich mit einer Miete in dieser Höhe über einen Zeitraum von 20 Jahren aus – solange das Zinsniveau auf dem gegenwärtigen Tief bleibt.
Was die Refinanzierung von Vorsorge-Anlagewohnungen betrifft, hat Erhard Etlinger das böse Erwachen vieler privater Immobilienanleger miterlebt: „Den Leuten wird nicht gesagt, dass bei vielen Wohnobjekten die laufende Entwertung durch Alterung und Gebrauch ihren Gewinn wieder auffrisst.“

Fazit …

Dass eine Gemeinde wie Vorchdorf den Trend auf dem Immobilienmarkt weder aufhalten noch umdrehen kann, ist klar. Wie sie mit ihm umgehen und wie sie den Gemeinderatsbeschluss zur Förderung des leistbaren Wohnens umsetzen wird: Das zu beobachten, wird spannend bleiben.

4 Gedanken zu „Wohnen in Vorchdorf: Leistbar oder um 30 % zu teuer? (Teil 2 von 2)

  1. Gottfried Ohler

    Danke für den treffenden Bericht über die Entwicklung am Wohnungsbau!
    Auch dem Kommentar von Martin Fischer kann ich voll zustimmen!

    In Vorchdorf wurde schon vor vielen Jahrzehnten bis in die jüngere Vergangenheit leistbarer Wohnbau betrieben und zwar durch Gemeinnützige Wohnungsgesellschaften wie Styria, Lawog oder OÖ.Wohnbau, um nur einige zu nennen.
    Solche Bauten findet man in der Lambacher-, Lindacher-, Bahnhof-, Grieß- und Mautstaße und am Schloßplatz.
    Diese Gesellschaften kümmern sich auch um die Gebäude und wenn sie in die Jahre gekommen sind, wird in der Regel eine ansprechende Renovierung vorgenommen (zB. Bahnhof- und Mautstraße in der jüngeren Vergangenheit).

    Der Trend zum gemeinnützigen Wohnbau ist leider etwas eingeschlafen beziehungsweise durch den gewerblichen Wohnbau verdrängt worden.

    Linz zum Beispiel hat unter allen Landeshauptstädten den größten Anteil an gemeinnützigen Wohnungen. Jeder zweite Haushalt bewohnt eine solche. Die Tendenz und der Bedarf ist wegen finanzieller Knappheit der Menschen stark steigend.
    Wenn die Stadt Linz Baugründe zum Verkauf anbietet, wird immer ein großer Anteil an gemeinnützige Wohnungsgesellschaften verkauft, damit diese wiederum halbwegs leistbare Wohnungen bauen können.
    Natürlich sind auch bei diesen Wohnungen in den letzten paar Jahren die Preise gestiegen, aber nicht um 30% überteuert, wie es beim gewerblichen Wohnbau derzeit praktiziert wird.
    Gewerblicher Wohnbau zielt auf maximalen Gewinn ab. Das haben sie in ihrer Recherche auch angeführt. Bei Gemeinnützigen Wohnungsgesellschaften und Genossenschaftswohnungen steht meiner Meinung nach eine menschlich soziale Ideologie im Vordergrund..

    Eine Frage die mich beschäftigt: Gibt es in Vorchdorf seitens der Gemeinde eine Möglichkeit und einen Weg den gemeinnützigen Wohnbau wieder anzukurbeln mit dem Effekt, einigermaßen leistbares Wohnen anbieten zu können und damit Menschen die hier wohnen möchten, dies zu ermöglichen?

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  2. Martin Fischer

    Das Problem liegt ja nicht unbedingt nur an den hohen Preisen, sondern an uns selbst. Wir wollen immer größer und immer mehr. Das benötigt unser Ego. Seht euch nur um, welchen Fuhrpark viele von uns haben. Es ginge auch anderes, aber wir sind es nicht gewohnt. Die letzten Jahrzehnte waren geprägt von fast ausnahmslosem Wachstum. Schön langsam könnte das Ende der Fahnenstange erreicht werden und dann wird’s für viele brenzlig. Hier sind auch unsere Banken in der Verantwortung, da viel zu hohe Kredite vergeben worden sind. Corona ist auch so eine Sache, die in vielen Finanzplänen nicht berücksichtigt worden ist (wie auch, aber solche Dinge können nun Mal passieren, es reicht ja auch eine Scheidung). Viel zu viele bin uns leben schon lange am Limit, um sich unser schönes Leben leisten zu können. Und das unabhängig vom Einkommen.

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  3. Rührlinger Siegfried

    finde die Kommentare zum Wohnen in Vorchdorf sehr zutreffend und beide Teile bestens recherchiert.
    Der Autor hätte mich aber interessiert.

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