12. Januar 2022
Das Kriegsbeil wurde nie begraben. „Seit 2020 ist Vorchdorf lt. Definition eine Abgangsgemeinde“, schrieb die Liste Vorchdorf im Juli auf ihrer Facebookseite. Das stimme überhaupt nicht, widersprach ebenfalls vor der Wahl Bürgermeisterkandidat Johann Mitterlehner. Und Johann Haslinger, ehemaliger Obmann-Stellvertreter des Prüfungsausschusses: Das ist eine reine Unwahrheit. Kann man das nicht ein für allemal klären?
Die Sprache ist ein Hund. Das gilt besonders für Worte, die sowohl im Alltag gebräuchlich sind als auch in rechtlichen Zusammenhängen. Und zu allem Überfluss ändert sich der Sprachgebrauch auch noch. „Abgangsgemeinde“ ist so ein Kandidat.
Albert Sprung, Kopf der Liste Vorchdorf, kritisierte im Wahlkampf vor allem die Finanzpolitik der Gemeinde-ÖVP. Die hätte wegen verschiedener Fehlentscheidungen dazu geführt, dass Vorchdorf seit 2020 eine Abgangsgemeinde sei.
Was ist mit „Abgangsgemeinde“ gemeint?
Obwohl der Begriff der Abgangsgemeinde in der Politik nach wie vor in aller Munde ist, wartet schon hier die erste Überraschung. Bis 2017 gab es für das Wort eine sogenannte Legaldefinition: Abgangsgemeinden waren solche, die ihren „ordentlichen Haushalt“, d. h. die laufenden Einnahmen und Ausgaben nicht ausgleichen konnten, und zwar laut Rechnungsabschluss. Den beschließt der Gemeinderat jeweils für das Vorjahr zu Jahresbeginn.
Vereinfacht ausgedrückt: Im Ergebnis steht ein Minus. Gemeinden, bei denen das über Jahre hinweg der Fall war, konnten vom Land finanziell unter Kuratel gestellt werden. Eine besondere Möglichkeit des Haushaltsausgleichs galt bis 2019: Gemeinden konnten dazu auch Rücklagen auflösen, also quasi auf die Ersparnisse zurückgreifen.
Inzwischen ist (fast) alles anders. Nach einer ersten Neuregelung der Gemeindefinanzen seitens des Landes 2018 trat mit dem Jahr 2020 die zweite Anpassung der Voranschlags- und Rechnungsabschlussverordnung (VRV) in Kraft. Damit gibt es keinen ordentlichen und außerordentlichen Haushalt mehr – und offiziell auch keine Abgangsgemeinden. Insofern geht der Vorwurf der Liste Vorchdorf streng und wörtlich genommen ins Leere.
Der inhaltliche Kern der Kritik an den Gemeindefinanzen
Was es statt der „Abgangsgemeinde“ jetzt gibt, ist die sogenannte Härteausgleichsgemeinde. Das allerdings ist nicht dasselbe. Hier geht es vielmehr um einen nicht ausgeglichenen Voranschlag, sprich: Im Budget sind mehr Ausgaben als Einnahmen vorgesehen – und zwar für die „laufende Geschäftstätigkeit“.
Feinheit am Rande: Die Gemeinde kann mithilfe eines Nachtragsvoranschlags – im Rahmen der Vorschriften der Gemeindeordnung – das Budget auch wieder ins Lot bringen, wenn entsprechende Einnahmen und/oder Ausgabenänderungen das ermöglichen.
Vor diesem Hintergrund ist die „Abgangsgemeinden“-Kritik der Liste Vorchdorf ein Fall für Feinspitze in Sachen Gemeindefinanzen. Denn:
- Das Ergebis der laufenden Geschäftstätigkeit war 2020 positiv. Innerhalb dieses Ergebnisses taucht allerdings ein negativer Posten in Höhe von rund einer dreiviertel Million Euro „nach Zuweisung/Entnahme von Rücklagen“ auf. Unterm Strich gibt jedoch der Rechnungsabschluss nicht her, Vorchdorf im früheren Sinne als Abgangsgemeinde zu bezeichnen.
- Sollte der Vorwurf der Abgangsgemeinde im Sinne der jetztigen Mehrbedarfsgemeinde gemeint gewesen sein, wäre der Voranschlag für 2020 heranzuziehen. Dieses Budget, beschlossen im Dezember 2019, war ausgeglichen, ebenso der im folgenden September beschlossene Nachtragsvoranschlag.
Für 2021 und die weitere Zukunft ist für die Einstufung als Mehrbedarfsgemeinde nur noch die Liquidität, d. h. die Zahlungsfähigkeit ausschlaggebend. Laut Mitteilung der Gemeinde bzw. dem Prüfbericht der BH Gmunden hat sich die Liquidität in Vorchdorf allerdings seit 2018 kontinuierlich gesteigert, zuletzt 2020 um 1,2 Mio. Euro auf 6,9 Millionen. Der Voranschlag für 2022 ist wiederum ausgeglichen.
Liste Vorchdorf weist auf „nicht nachhaltiges Haushaltsgleichgewicht“ hin
In einer aktuellen Stellungnahme erklärt die Liste Vorchdorf ihre Aussagen aus dem Frühjahr 2021 nun mit dem sogenannten Lagebericht zum Rechnungsabschluss 2020. Dort heißt es: ein „nachhaltiges Haushaltsgleichgewicht wird nicht erreicht, weil zwar im Finanzhaushalt die Liquidität gegeben ist, bzw. das Nettovermögen positiv ist, jedoch der Ergebnishaushalt auf Grund der hohen Afa bzw. Rücklagenbildung negativ ist.“
Ein Blick in die Zukunft zum damaligen Zeitpunkt zeige, dass im Voranschlag 2021 die Aufrechterhaltung der finanziellen Ausgeglichenheit nur durch ein Zurückgreifen auf „Reserven“ und durch zusätzliche Kredite möglich sei. Beim Nachtragsvoranschlag 2021 im September, kurz nach der Gemeinderatswahl, habe sich das Bild erfreulicherweise gewandelt. Es sei jedoch unfair, bei der Kritik an Aussagen nicht zu erwähnen dass sich im Nachhinein die Verhältnisse geändert hätten.
Unbefriedigendes Fazit: Es ist alles nicht so einfach
Vorchdorf wäre ein für Außenstehende kaum noch durschschaubarer Hickhack im Wahlkampf erspart geblieben, hätte die Liste Vorchdorf nicht das Wort „Abgangsgemeinde“ in den Ring geworfen. Andererseits: Die Kritikpunkte in der jetzigen Stellungnahme der Liste Vorchdorf basieren auf amtlichen Dokumenten. Sie werden nicht falsch, wenn die Lage jetzt besser ist. Wiederum andererseits: Auch damals schon hieß es zur Entgegnung: Mit dem Nachtragshaushalt bringen wir das wieder hin. Und noch einmal andererseits: Auch dem Voranschlag für 2022 haben etwa die Grünen nur unter Vorbehalt zugestimmt, weil die Prognosen weniger Erträge als Aufwendungen erwarten lassen.
Unterm Strich bleibt: Auch wenn Vorchdorf im Vergleich nicht schlecht dasteht, ist nicht alles Gold. In die parteipolitische Auseinandersetzung um die Gemeindefinanzen ist ein Haufen Energie geflossen. Den Streit endgültig zu begraben und ab jetzt sachlich über die bestmögliche nachhaltige Finanzpolitik zu verhandeln, das wäre im Sinne der ganzen Gemeinde.