„So etwas darf nicht mehr vorkommen“ – Wirklich?

24. Juni 2022

Über 10 Jahre lang leisteten Bevölkerung und Gemeinden zwischen Vorchdorf und Kirchdorf Widerstand und forderten, dass die 110-kV-Hochspannungsleitung ein Erdkabel wird – erfolglos. Der Umgang mit der Wahrheit war in dieser Zeit bei Energie AG und Landesregierung nachweislich eher Knecht des Konzerngewinns. Aktuelle Äußerungen belegen: Fake News haben auch heute Hochkonjunktur.

38 Jahre Planungszeit für ein Umspannwerk! Das klingt nach schwerem Versagen wohl aller zuständigen Stellen inklusive der Gesetzgebung. Das desaströse Stromversorgunsprojekt im Bezirk Schärding war laut ORF-Bericht Anlass für Wirtschaftslandesrat Achleitner und Energie-AG-Chef Steinecker, die Klimarettung zur Untermauerung der Forderung nach kürzeren Behördenverfahren heranzuziehen. So etwas dürfe nicht mehr vorkommen.

Protest gegen 110-kV-Freileitung

Protest bei der Vorchdorfer Behördenverhandlung 2011 (Foto: Jack Haijes)

Die Gleichartigkeit der Aussagen zur Auseinandersetzung um die Leitung Almtal–Kremstal springt ins Auge: Dass nur Freileitungen auf Hochspannungsmasten (in Vorchdorf von der Autobahn in Ursprung über Eichham und Aggsbach bis Moos) den Strom transportieren können, trifft heute noch weniger zu als vor 12 Jahren, als die Pläne der Energie AG bekannt wurden.

Erdkabel für 110 kV seien „aus physikalischen und elektrotechnischen Gründen“ nicht möglich, betet Achleitner, selbst fachlich unkundig, den Standpunkt der Energie AG nach. Unerwähnt lässt er dabei, dass diese Aussage überhaupt nur dann haltbar ist, wenn man fordern würde, ein Erdkabel ohne die erforderlichen technischen Maßnahmen zu errichten – etwa so, wie natürlich eine Freileitung ohne Masten physikalisch und technisch unmöglich wäre.

Täter-Opfer-Umkehr zwischen Stromkonzern und Betroffenen

Klar müssen Stromnetze rasch aufgerüstet werden, um fit für die Energiewende mit vielen neuen Strom-Einspeisern zu werden. Als Turbo stellt sich die Energie AG kürzere Verfahren vor – Verhandlungen, bei denen ohnehin schon Natur- und Umweltschutz fast immer dem „Interesse an der Stromversorgung“ unterlegen sind. Dass betroffene Grundeigentümer*innen wie in Vorchdorf und sechs weiteren Gemeinden bis hinauf zum Europäischen Gerichtshof geltend machen, dass die Stromversorgung genauso gut, und besser mit Erdkabeln gesichert werden kann, ist Landesregierung und Stromkonzern ein Dorn im Auge.

Sie sehen sich als Opfer völlig überzogener Einspruchsmöglichkeiten und speisen Betroffene zugleich mit Enteignungsentschädigungen ab, die erst Gerichte auf das 2,5-fache in eine realistische Dimension gerückt haben. Beschleunigt werden könnten die Planungen im Konsens wesentlich einfacher: Im Innviertel haben Landwirte angeboten, ihre Grundstücke sofort freiwillig für ein Erdkabel zur Verfügung zu stellen. Ebenfalls erfolglos.

Zerstörte Landschaft und Waldschäden erneut geleugnet
Hochspannungsmasten

Freileitung vor Traunsteinpanorama, Nähe Pyhrethäusl

Die Auswirkungen auf das Landschaftsbild sind längs der Trasse überall zu besichtigen. Davor gewarnt haben die Betroffenen von Anfang an – unter anderem mit der Fotomontage eines Trassenabschnitts auf einem Waldhang in Inzersdorf. Als „Stimmungsmache“ brandmarkte die Energie AG erst im Februar die „falsche Fotomontage“ und stellte ein aktuelles Foto der nun tatsächlich errichteten Freileitung dagegen.

Und wirklich erscheint die Schneise nun sehr unauffällig. Das liegt allerdings nicht an der übertriebenen Montage. Vielmehr hatte die Energie AG eine 40 Meter breite Schneise eingereicht, wie das auch normgerecht erforderlich ist. Ausgeführt wurden dann aber durchschnittlich bloß 25 Meter breite „Schutzstreifen“. Der Unterschied in der Optik ist klarerweise erheblich.

Hintergrund: Nur mit diesen „abgespeckten“ Rodungen entging das ganze Projekt – um Haaresbreite! – einer Umweltverträglichkeitsprüfung, bei der ein Variantenvergleich möglicherweise mehr Chancen für die Erdkabellösung  bedeutet hätte. Die Freileitung ist seit gut einem halben Jahr in Betrieb. Die Anrainer*innen werden die unveränderte Politik von Land und Energie AG mit Bitterkeit registriert haben.

(Transparenzhinweis: Der Autor war Mitglied und Sprecher der Initiative „110 kV ade!“, die sich seit 2010 für Erverkabelungen eingesetzt hat, zuletzt im Rahmen der überregionalen Initiative „Fairkabeln“.)

Ein Gedanke zu „„So etwas darf nicht mehr vorkommen“ – Wirklich?

  1. Rudolf Niederwimmer

    Ach ja, die Wahrheit ist uns zumutbar. Definitiv verhindert die Landespolitik, mit ihrem weisungsgebundenen Unternehmen Energie AG den Netzausbau. Man will partout „mit dem Kopf durch die Wand“ und eine Uralttechnologie Freileitung mit gelöschtem Netz (Patent aus dem Jahr 1917) durchsetzen, koste es was es wolle.
    Wenn die Herrschaften sich für eine jetzt wahrscheinlich schon „preisgünstigere“ Erdkabelvariante (aktuelle Stahl-/Betonpreise, jetzt 2-3fach höhere Grundablösesummen) erwärmen hätten können, hätten sie die Bevölkerung hinter sich und der Strom würde schon lange fließen!
    Die Energie AG hätte über die Jahre schon viel Geld verdient und könnten uns dadurch auch günstigere Energie anbieten. Wäre das nicht die Aufgabe eines Unternehmens, das sich überwiegend in öffentlicher Hand befindet?

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