18. August 2022
Meinung am Donnerstag
Sand, Strand, Meer. Und rechts in einem kleinen Beet aus dunkelbraunem Torf eine Palme, die Schatten spendet. Mein Junior und ich im Urlaub: endlich ausspannen, das seit Monaten am Couchtisch zwischengelagerte Buch zu Ende lesen, einfach ein bisserl Abstand vom Alltag genießen. Es ist aber auch ein guter Zeitpunkt zurückzublicken, wie denn der Nachwuchs mit all den aktuellen Krisen umgeht.
Die Herausforderungen an einen 14-Jährigen in diesen wirklich sehr speziellen Zeiten lassen wahrscheinlich viele Eltern hin und wieder ratlos zurück: Wie lässt sich der übermäßige Internetkonsum einbremsen? Was kann man tun, damit die sozialen Kontakte nicht nur virtuell funktionieren? Der Online-Unterricht will ja auch noch gelernt sein, wenn auch auf beiden Seite, also bei Lehrern und Schülern. Und dann auch das ständige Aufpoppen von Kriegen und Krisen. Was macht all das mit dieser Generation?
Im Fokus: Ein Ausflug in die Geschichte!
Ich wollte einfach erfahren, was meinen Buben in den letzten zwei Jahren ganz besonders beschäftigt hat. Zu meiner Überraschung war die erste Antwort nicht etwa Corona, Russland und die Ukraine oder der absehbare Energieengpass. Nein, es war auch nicht Fridays for Future. – Es war seine Klassenfahrt mit dem Besuch der Gedenkstätte in Mauthausen gegen Ende des letzten Schuljahres.
Ich sollte anmerken, dass mein Nachwuchs sich sehr für Geschichte interessiert – im krassen Gegensatz zu Mathematik und Physik. Die Führung, die Mahnmale und die Erklärungen haben einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Die Schilderungen all des Leids und der tragischen Schicksale, die sich in und rund um Mauthausen abgespielt haben, werden dazu beitragen, dass er sich als Mensch sehr gut überlegt, wie er mit Diskriminierung und kriegerischen Auseinandersetzungen umgeht. Ihm wurde Geschichte in sehr anschaulicher Weise vermittelt. Praxisunterricht, könnte man sagen, wofür ich seinen Lehrern wirklich dankbar bin. Kein Buch, keine Beschreibung und keine Erzählung können die Tatsachen dieser dunklen Zeiten so vermitteln wie ein Besuch der Gedenkstätte.
Umso frustrierter war der Sohnemann dann aber, als er mir von derben Witzen und dem völlig inakzeptablen Verhalten eines seiner Kommilitonen erzählt hat. Das ging so weit, dass mit erhobener ausgestreckter rechter Hand in der Schule gegrüßt wurde – und man das zu meinem Entsetzen dann auch noch cool findet, wenn man sich das hinter dem Rücken der Lehrer traut. Fotos belegen, dass die Erzählungen keine Übertreibung waren.
Verquere Vergleiche – ist die „Scham der Dummheit“ vorbei?
Bei allem Verständnis für jugendliche Dummheiten, aber das ist für mich verhaltensauffällig! In weiterer Folge stellt sich wohl die Frage, woher dieses saublöde (sorry, eine andere Bezeichnung fällt mir dafür nicht ein) Verhalten kommt? Aussagen, wonach „wir in ähnlichen Zeiten leben würden, da mit Corona ja die Demokratie abgeschafft wurde“ könnten den Schluss zulassen, dass der arme Bub einfach zu viel Zeit bei etwas verqueren Eltern verbringen musste. Ob durch den freiwilligen Heimunterricht eine Verharmlosung der Bedeutung einer stramm erhobenen rechten Hand herrührt, lässt sich nur vermuten.
Es stellt sich mir die Frage, warum es für manche Menschen derartig schwierig ist, Geschichte richtig zu verstehen und einzuordnen, vor allem aber daraus zu lernen. Die Gefahr, dass sich ein derartiges Verhalten von Jugendlichen zu einer wirklichen Überzeugung verfestigt, bereitet mir ernsthaft Sorgen. Eine Pandemie mit den Nazi-Zeiten gleichzusetzen, was sind denn das für Vergleiche? Dazu passt die traurige Tatsache, wonach die Zahl der rechtsextremen Straftaten seit 2014 um 105 % gestiegen ist. Übrigens, das Heben der rechten Hand zwecks Grußes ist kein Kavaliersdelikt – auch nicht bei Jugendlichen! Dass ein Besuch in Mauthausen bei jedem halbwegs intelligenten Menschen zu einem besseren Geschichtsverständnis beiträgt, davon bin ich felsenfest überzeugt. All die Anti-Corona-Aluhut-Träger scheinen es nicht wirklich leichter zu machen, Geschichte richtig zu vermitteln. Es ist wohl zu einer neuen Herausforderung für Schulleitung und Lehrerschaft geworden, verqueres Gedankengut aus Klassenzimmern fernzuhalten.
Nach dem langen Gespräch mit meinem Junior zu diesen Vorkommnissen gebe ich zu, dass ich sein alles andere als tolles Zeugnis gerne akzeptiere – emotionale und soziale Intelligenz haben für mich einen höheren Stellenwert als gute Noten.
Inzwischen ist die Sonne übrigens am Untergehen. Die Palme im tiefbraunen Torfbeet rechts von uns hat als Schattenspender ausgedient – aber zukünftig wird mich dieses Gewächs an wirklich bedrückende Gespräche erinnern.
Beste Grüße sendet
Alfred E. Neumann