Ex und hopp bei Textilien? – In Vorchdorf nicht unbedingt!

25. Oktober 2023

„Fast Fashion“ heißt das Problem international. Wegwerfmode. Billigst produziert, kurz oder gar nicht getragen, dann auf den Müll. Die Modebranche ist für 10 % des weltweiten CO₂-Ausstoßes verantwortlich, schätzt die EU – mehr als Luftfahrt und Schiffsverkehr zusammen. Ist der Vorchdorfer Einzelhandel Teil des Problems?

Anders als die „Zeit“ schreibt: Es gibt mehr als eine rühmliche Ausnahme – und zwar im Ort! (Bild: Zeit Nr. 37; Fotomontage: Justin Metz)

Auslöser für dieses Thema war für den INVO.report ein erstaunlicher Artikel in der „Zeit“* vom 31. August. Er dreht sich um den (auch in Vorchdorf vertretenen) Textil-Discounter Kik: „Kleidung zu Billigpreisen, Ramsch-Filialen, Schnäppchenjagd“, so ätzt die deutsche Wochenzeitung. Aber ausgerechnet Kik ist zumindest in einer Hinsicht eben nicht Teil des Fast-Fashion-Problems, dass von den weltweit rund 100 Milliarden produzierter Kleidungsstücke fast die Hälfte nicht verkauft wird.

Unverkäufliches kann doch verkauft werden

Überschussware heißt das dann. Und Kik, für Arbeitsbedingungen im In- und Ausland in der Kritik und in der Branche Image-Schlusslicht, Kik hat es inzwischen geschafft, den Anteil dieser Überschussware auf 0,46 % herunterzudrücken. Verschwindend wenig im Vergleich zur Masse des Textilhandels. Die „Zeit“ hat das überprüft; es scheint zu stimmen.

Wie das geht? Die Artikel werden heruntergepreist, wenn niemand sie kauft – bis auf 20 %. Irgendwann verkauft es sich immer, sagte Ansgar Lohmann, Leiter der „Corporate Social Responsibility“ bei Kik der deutschen Wochenzeitung. Unter ökologischen Aspekten ist Textilmüll Experten zufolge das Kernproblem. „Solange das nicht gelöst ist, muss ich gar nicht erst über nachhaltige Materialien oder gar Recycling nachdenken“, sagt etwa Kai Nebel, Uni Reutlingen.

Und in Vorchdorf? Kik liegt nur wenige Meter entfernt vom einzigen wirklichen örtlichen Einzelhändler, susanne anziehend, auf der anderen Straßenseite gibt es die Fussl Modestraße, schließlich den zweiten Discounter, NKD. Der INVO.report hat nachgefragt.

4 Antworten für Vorchdorf

Kik:
Am leichtesten telefonisch erreichbar ist von den Filialisten tatsächlich Kik. Allerdings, die Wiener Geschäftsführung gibt sich zugeknöpft, obwohl ja die Information über die Unternehmenspolitik bezüglich des Umgangs mit Überschussware eigentlich positiv wirkt. Aber man sei nicht interessiert an der Veröffentlichung von Daten.

NKD:
… auch nicht einfach. Es gibt im Impressum der NKD-Website eine Telefonnummer, bei der aber auch nach mehrmaligem minutenlangem Durchläuten niemand abhebt. Die Filialen sind zwar offiziell nicht telefonisch erreichbar, in der Bahnhofstraße gibt es aber trotzdem eine Nummer, über die eine Mitarbeiterin dann den Anschluss eines „Sekretariats“ in Wels nennt. Dort allerdings ist man nicht zuständig und verweist auf eine 0920-Nummer. Bei der warnt eine Bandansage, es handele sich um einen „very expensive long distance call“. Das ist die Sache nicht wert.

Eine eigene Nachhaltigkeitsseite von NKD listet eine Reihe von ökologischen und sozialen Ansprüchen auf, gibt aber keinen Aufschluss über den Umgang mit Überschussware. Die prominent erwähnte Mitgliedschaft im „Bündnis für nachhaltige Textilien“ ist kein unbedingtes Gütesiegel. Die Kritik an der Organisation kommt von unterschiedlichsten Seiten.

Fussl:
Die Geschäftsführung des Familienunternehmens aus Ort im Innkreis gibt an, dass praktisch gar nichts von den gehandelten Textilien zu Müll wird. Deutlich über 90 % verkauft Fussl in den Filialen. Das beinhaltet auch Abverkäufe, über deren Anteil man aus Wettbewerbsgründen allerdings Stillschweigen wahrt. Der Rest geht in mehreren Outlets des Unternehmens an die Kundschaft – und das in den vergangenen Jahren komplett. Zuvor wurden sehr geringfügige Mengen an Überschussware an die Zentrale zurück und dann als Spenden z. B. nach Rumänien gegeben.

susanne anziehend:
Seit über 20 Jahren führt Susanne Flachberger „susanne anziehend“, früher Bahnhofstraße, jetzt schon lange in der s’mile an der Neuen Landstraße. Und ebenso lange wird in diesem Modengeschäft tatsächlich gar nichts mehr weggeworfen. Auch hier gehen schon in der ersten Abverkaufsrunde rund 90 % der saisonal nicht verkauften Artikel über den Tisch; spätestens wenn die restliche Ware dann um bis zu 70 % reduziert ist, bleibt gar nichts mehr übrig, berichtet die Geschäftsführerin. Bodenhaftung bei der örtlichen Kundschaft verschaffen dem Geschäft unter anderem die gut besuchten Modenschauen. Alleine in diesem Jahr gab es bereits Hausmodenschauen im Januar, März, Mai und September, außerdem bei der Italienischen Nacht im Juli.

Fazit: Vorchdorf ist wohl untypisch

Nach einer Schätzung von Greenpeace aus 2021/22 werden in Österreich rund 30 % der unverkauften Kleidung nie genutzt. Für einen erheblicher Teil davon ist allerdings der Onlinehandel mit seinem bislang kaum gelösten Retouren-Problem verantwortlich. In Vorchdorf jedenfalls scheint der Handel keinen wesentlichen Anteil an diesem ökologischen Missstand zu haben.

Nicht erfasst ist dabei allerdings das individuelle Konsumverhalten, sprich: Wer Bekleidung kauft und nach einem Jahr wegwirft oder sonstwie selbst nicht mehr nutzt, trägt zwar nicht zur Überschussware bei – sehr wohl aber dazu, dass durch „Wegwerfmode“ die Textilindustrie weiterhin ein ökologisches Sorgenkind bleibt.

Und um das auch noch zu erwähnen: Produktion wird natürlich durch Nachfrage gesteuert. Wer Second-Hand-Kleidung in den örtlichen Shops bzw. Flohmärkten kauft, bekommt neben oft tadelloser Ware zu günstigen Preisen diesbezüglich ein gutes Gewissen als Draufgabe.

(* Redaktioneller Hinweis: Der „Zeit“-Artikel liegt für Nicht-Abonnenten hinter einer Bezahlschranke, ist aber mit einem Testabo – das selbst wieder zu kündigen ist! – für 1 Euro zugänglich.)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert