16. Mai 2021
Im Doppelpassspiel sorgen die Marktgemeinde Vorchdorf und Stern & Hafferl mit dem Bau stattlicher Ersatz- und Parallelstraßen für die Auflassung von Eisenbahnkreuzungen. Dass dabei wieder Boden versiegelt und die Verkehrssicherheit von Fußgänger*innen und Radfahrer*innen beeinträchtigt wird, scheint keine Rolle zu spielen.
Bahnübergänge sind eine teure Angelegenheit. Vor allem wenn sie mit Lichtanlagen ausgestattet werden sollen. Die Kostenangaben dafür reichen von 100.000,- bis 190.000,- Euro. Kein Wunder, dass jeder Bahnübergang, den man auflassen bzw. nicht teuer sichern muss, aus Sicht eines Bahnbetreibers wie Stern & Hafferl ein erstrebenswerter Gewinn ist. Im Gemeindegebiet von Vorchdorf spart sich das Verkehrsunternehmen mit Sitz in Gmunden gerade Einiges: Wie von NEOS-Kandidatin Elisabeth Steinbach im INVO.report-Interview angeprangert, wurde das zwischen Vorchdorf und Kirchham fehlende Verbindungsstück des Radsterns – der Gmunden mit seinen Umlandgemeinden verbindet – als Parallelstraße zur Landesstraße ausgeführt. Mit zwei Brücken auf den wenigen hundert Metern, und 100% autotauglich.
Die Landesparallelstraße
Wie Norbert Ellinger von den Grünen bestätigt, ist das Radweg- bzw. Straßenbauprojekt zwischen Falkenohren und Weidach damit erst halb fertig. In einer zweiten Ausbaustufe soll nun der bestehende reine Rad- und Fußweg, der entlang der Bahnstrecke bis zum Loisn- und zum Sonnenweg führt, ebenfalls zur Fahrradautobahn verbreitert werden.
Mit dem erklärten Ziel, den gesamten Autoverkehr vom Brotwinkel sowie Loisn- und Sonnenweg parallel zur Landesstraße zu führen, damit insgesamt drei Bahnübergänge aufgelassen werden können: Der Übergang beim Brotwinkel und beim Sonnenweg sowie ein rein landwirtschaftlich genutzter Übergang kurz hinter der Bahnkreuzung am Loisnweg. Für Autofahrer*innen heißt es dann, in der S-Kurve mit der bereits installierten Lichtanlage auf die Landesstraße auffahren bzw. dort von dieser abbiegen.
Abbiegen in der S-Kurve
Ob das wirklich ein Sicherheitsgewinn ist, müssen Verkehrsfachleute beurteilen – von der Sicherheit der Fußgänger*innen und Radfahrer*innen auf der Parallelstraße ganz zu schweigen. Und ob mit dieser Ersparnis die Kosten für den mit EU-Mitteln geförderten Radstern wieder herinnen sind, scheint angesichts der beiden Brückenbaustellen fraglich. Nicht eingerechnet sind jedenfalls die ökologischen Kosten durch weitere Bodenversiegelung. Davon, dass die Äcker und Wiesen entlang des Radstern wie von Steinbach moniert bereits Bauerwartungsland seien, wusste Raumordnungsausschussobmann Martin Fischer allerdings noch nichts.
Bis zum Schranken
Weitaus augenscheinlicher noch wird die Bodenversiegelung bei einem weiteren Bahnübergang, der beim Bahnweg im Zentrum Vorchdorfs vor seiner Auflassung steht. Die Einsparung ist es der Marktgemeinde jedenfalls wert, mitten durch eine der letzten Wiesen im Ortszentrum – die von der Besatzung des Rettungshubschraubers Martin 3 in Scharnstein übrigens regelmäßig als Landeplatz und Treffpunkt mit der Rettung genutzt wird – eine zweispurige Sackgasse zu bauen: Quer über die Wiese von Grundbesitzer Wolfgang Hieslmair aus der Messenbacherstraße, der bereits zu zermürbt ist, um sich noch zur Angelegenheit zu äußern. Die bereits ausgesteckte Straße geht nach ihrer Fertigstellung in jenen Weg über, an dem die Grundstücke und Häuser der Familien Sattler, Perhalt und Leithenmair liegen. Von dort gibt es zwar eine weiterführende Verbindung zur Straße vis à vis des Bahnhofes Vorchdorf Eggenberg, doch die ist mit einem Schranken abgesperrt.
Superbreite Sackgasse
Auch wenn Hieslmair selbst nicht mehr Stellung beziehen mag, lässt sich aus den Gemeinderatsprotokollen eruieren, dass der Kaufmann im Ruhestand mit 10 Euro für den Quadratmeter Grund abgefunden wurde, obwohl der ortsübliche Quadratmeterpreis deutlich höher ist. Wie es scheint, hat die Gemeinde den Grundstückseigentümer gelinde gesagt ein wenig unter Druck gesetzt: Hieslmair soll sich jahrelang um die Umwidmung zweier angrenzender Parzellen in Bauland für seine Kinder bemüht haben – die ihm vorenthalten wurden und ernstlich daran denken ließen, aus Vorchdorf wegzuziehen. Diese Umwidmung ist offenbar das Gegengeschäft für die Grundstücksabtretung zwecks Straßenbau. Wobei Hieslmair angeblich unverblümt mitgeteilt wurde, dass die Umwidmung erst stattfinden würde, wenn die Straßenbaubagger angerückt kämen.
Für die gibt es Einiges zu tun: Die „Ersatzstraße“ wird stattliche 6 Meter breit – angeblich, weil die Gemeinde sonst keine Landesförderung lukrieren könnte. Für eine Sackgasse in eine kleine Siedlung ist das jedenfalls eine mehr als respektable Breite.
Die Frage, das ganze eine Schuhnummer kleiner zu geben, stellt sich offenbar nicht. Im Gemeindebudget von 2019 ist die Ersatzstraße mit 75.000,- Euro projektiert; pro aufgelassener Eisenbahnkreuzung gibt es 30.000 Euro Förderung aus öffentlicher Hand.
Unklare Verhältnisse
Spannend an dem Projekt ist nicht allein sein Zustandekommen, sondern auch, wie sich hier die Interessen von Kommune und Verkehrsbetreiber miteinander verflechten. Eine Verflechtung, die schon allein durch den Umstand besteht, dass die Marktgemeinde Vorchdorf laut Firmenbuch 3,3% der Anteile an der Lokalbahn Lambach-Vorchdorf-Eggenberg AG hält. Auch in der Lokalbahn Gmunden – Vorchdorf AG ist Vorchdorf in Person von Bürgermeister Gunter Schimpl vertreten.
In der Kommunikation mit den Anrainern scheint die Marktgemeinde Vorchdorf jedenfalls Stern & Hafferl als treibende Kraft für das Projekt dargestellt zu haben. Bei Stern & Hafferl, sonst durchaus für prompte und professionelle Kommunikation bekannt, ist man um eine klare Antwort verlegen.
Kein Wort zum Bahnweg
Auf eine INVO.report-Anfrage vom 3. Mai d. J. antwortete Elisabeth Buchegger, die bei Stern & Hafferl die Unternehmenskommunikation und das Konzernmarketing verantwortet, noch innerhalb von zwei Stunden: Die Verantwortlichen seien außer Haus, eine Information zu den Ersatzstraßen würde anderntags folgen – was nicht geschah. Bei der telefonischen Nachfrage am 5. Mai stellte Buchegger ein schriftliches Statement für den 6. oder 7. Mai in Aussicht und spielte den Ball im Gespräch der Politik zu: Die betreibe das Auflassen von Bahnkreuzungen. Stern & Hafferl nutze bloß die Gunst der Stunde, um die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmenden zu erhöhen.
Statt des Statements war von Buchegger dann auf eine weitere Nachfrage am 11. Mai lediglich der folgende dürre Satz per Mail zu haben: „Im Zuge der Errichtung des Radsterns haben sich zahlreiche Möglichkeiten zur Verbesserung der Bahnübergänge ergeben. Unter anderem für mehr Sicherheit für Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer und zum Wohle unserer Fahrgäste.“ Zur Ersatzstraße am Bahnweg: Kein Wort.
Danke für diesen Beitrag, damit führt ihr den Leser*innen mal wieder die Vielschichtigkeit eines Problems vor Augen.
Zum Thema Flächenwidmung nähe Radstern möchte ich anmerken, dass „Bauerwartungsland“ möglicherweise der falsche Begriff ist und ich diesen so auch nicht verwendet habe, sehr wohl aber ist im Örtlichen Entwicklungskonzept (siehe Homepage Gemeinde Vorchdorf) eine Fläche für „Erweiterungsmöglichkeit Wohnfunktion“, direkt angrenzend an die neu errichtete Straße, vorgesehen.
Wichtig in diesem Zusammenhang ist meiner Meinung nach auch zu erwähnen, dass sehr wohl die gesetzliche Grundlage für das Auflassen der Bahnübergänge hinterfragt werden kann. Eine technische Sicherung von stark frequentierten Eisenbahnkreuzungen, welche immer wieder Grund für Verkehrsunfälle waren, ist ohne Zweifel sinnvoll. Mehrere kleine, wenig frequentierte Bahnübergänge gleichfalls technisch zu sichern, wäre vermutlich zu teuer und zu viel des Guten. Dass der nun entstandene „Radstern“ die einzige Alternative war, erscheint mir doch zu wenig weit gedacht.
Der Name der neos Kandidatin lautet doch Elisabeth Steinbach? Hier ist der Redaktion anscheinend ein Fehler unterlaufen
Stimmt – deshalb wurde es korrigiert – danke!