Gemeinderat: Hier wendet sich der Gast mit Grausen

8. Juli 2022
Kommentar von Michael Praschma

Die Gemeinderatssitzung am vergangenen Dienstagabend war das Entsetzlichste, was ich in Sachen Kommunikation seit sehr langer Zeit erlebt habe. Nicht alles. Aber einige durchaus wichtige Punkte. Dieses Ortsparlament ist in einem Ausmaß konfliktunfähig geworden, dass nicht etwa die Porno-Links beim Livestream (dazu mehr am Schluss) ein Argument gegen die Übertragung im Internet sind, sondern das Fremdschämen angesichts der Vorstellung, dass die Tiefpunkte der Diskussionskultur einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich werden.

Etwas Versöhnliches vorab, weil auch die Ballade von Schiller (Zitat in der Überschrift) noch harmlos beginnt: Eine Tagesordnung von 52 Punkten so abzuwickeln, dass der Löwenanteil der fälligen Beschlüsse gutgeölt, routiniert und meist einstimmig gefasst wird, ist schwer in Ordnung, lässt auf gute Vorbereitung in den zuständigen Ausschüssen schließen und dient dazu, dass die Gemeinde als öffentliches Organ so funktioniert wie sie soll. Erfreulich ist ebenfalls, dass die jeweiligen Sachverhalte von den vortragenden Gemeinderäten zumindest teilweise mit eigenen Worten so erläutert werden, dass auch das Publikum mitbekommt, worum es geht. So, jetzt aber …

Wozu Bauchfleck mit Anlauf in Serie?

Liste für Vorchdorf (LV) gegen alle. Oder alle gegen die LV, egal. Wir reden jetzt nicht über die erwähnten vielen einvernehmlichen Beschlüsse. Es geht vielmehr um die Punkte, in denen die LV teils schon seit dem Wahlkampf fundamentale Kritik zu Vorhaben einbringt, die aber fast der gesamte restliche Gemeinderat gut findet. Dazu gehört auch der wirtschaftlich und finanziell für Vorchdorf höchst wichtige Gemeindeverband INKOBA (vgl. auch unsere Berichte unter diesem Stichwort vom 25.5. und 21.4.).

Mit nicht weniger als drei sehr grundsätzlichen Anträgen wollte die LV jetzt Änderungen der Statuten bzw. einzelner Vereinbarungen der INKOBA herbeiführen. Alle drei wurden mit großer Mehrheit abgeschmettert – was von vornherein absehbar war. Um das sachliche Pro und Contra soll es an anderer Stelle gehen. Die Zumutung liegt bei der Vorgangsweise.

  1. Ob nun die LV überhaupt im Vorfeld sondiert hat, ob jemand anderes die Anträge unterstützt oder nicht, das Ergebnis ist dasselbe: Der einzig verbleibende Grund, einen chancenlosen Antrag dennoch zu stellen, besteht darin, die Postionen zu einem Thema öffentlich zu machen. Das ist aber komplett misslungen.
  2. Die Materie ist nunmal leider kompliziert. Umso mehr wäre bei der Antragstellung eine perfekt formulierte und vorgetragene Begründung nötig. Die war aber derart umständlich (und mit wiederkehrenden Passagen) trocken vorgelesen bzw. verworren dargestellt, dass selbst Insider teils Schwierigkeiten hatten zu folgen – von der potentiell interessierten Zuhörerschaft ganz abgesehen.
  3. Selbst wer vielleicht geneigt gewesen wäre, dem Hauptanliegen der Anträge zuzustimmen, ist spätestens bei einem völlig überflüssigen Zusatz ausgestiegen: Sollte nämlich die INKOBA dem Willen des Gemeinderates nicht folgen, müsse Vorchdorf den Austritt aus dem Verband erklären – was aber mit dieser Begründung schlicht nicht möglich ist.
  4. Die jedesmal folgende, teils hochgradig verworrene und feindselige Diskussion war schon deswegen, aber auch angesichts der offenkundigen Ergebnislosigkeit reine Zeitverschwendung. Hinzu kam, dass die Punkte trotz Protests der LV an den Schluss der Tagesordnung gesetzt wurden und daher unter Zeitdruck standen. Trotzdem haben mehrere Parteien immer erneut Öl in ein zunehmend destruktives Feuer gegossen, worauf die LV natürlich erwidert hat. Gescheiter wäre gewesen, man hätte nach einer (!) knappen ablehnenden Stellungnahme einfach abgestimmt.
  5. Was die LV hier mit untauglichen Mitteln erfolglos versucht hat, wäre besser bei einer neutral moderierten, öffentlichen Podiumsdiskussion aufgehoben gewesen. Angesichts der Bedeutung des Themas ist das sowieso längst überfällig. Stattdessen hat man sich wechselseitig ausgiebig vorgeführt – inklusive Häme, Abschweifungen, Polemik und allem, was unter kultivierten Demokrat*innen nichts verloren hat und niemandem einen Vorteil bringt.
Wenn die Redebeiträge tief fliegen

Die folgenden Beispiele sind willkürlich herausgegriffen und bewusst nicht einzelnen Mandataren zugeordnet. Wer masochistisch genug ist, kann sich das in der Aufzeichnung der Gemeinderatssitzung zu Gemüte führen.

Erstens: Leider in der politischen Auseinandersetzung üblich, deswegen aber immer noch ein Argument unter der Gürtellinie: „Hören wir doch auf, unseren schönen Ort (anderswo auch gerne: unser Land oder unser Österreich) schlechtzureden…“. – Hier verwechseln die Repräsentanten etwas. Majestätsbeleidigung ist nämlich kein Delikt mehr, und die Kritik an einer bestimmten Politik ist eben nicht automatisch Nestbeschmutzung. Solche Äußerungen sollten ein No-go sein. Das gilt auch für die mehrfache Abqualifizierung von Beiträgen als „Blödsinn“.

Zweitens: Wer ans Rednerpult tritt, nur um den festen Vorsatz mitzuteilen, bei dieser Sitzung eigentlich gar nichts sagen zu wollen, es aber dann doch tut, nur um einen Beitrag loszuwerden, der mit der Sache so gut wie gar nichts zu tun hat, ist eigentlich in dem Gremium fehl am Platz. Wenn ich eh nichts sagen will, brauche ich gar nicht dabei zu sein.

Drittens: Ebensowenig hilfreich ist es, zur vermeintlichen Untermauerung des eigenen Standpunkts in einem Rundumschlag die bundespolitischen Skandale der gegnerischen Partei aufzulisten – derartigen Abschweifungen allerdings nur mehr mit einer Sitzungsunterbrechung (zu stark vorgerückter Stunde) begegnen zu können, ist auch kein Ruhmesblatt souveräner Sitzungsleitung.

Schließlich: Etwas bizarr, wenn nicht absurd oder wie ein Hohn in diesem Moment wirkt es, anlässlich der bevorstehenden Sommerpause plötzlich für die gute Zusammenarbeit zu danken – zum Abschluss einer über weite Strecken von Kompromisslosigkeit und Giftigkeiten geprägten Sitzung, im Gefolge von Monaten kaum weniger einbetonierter Gegnerschaft. Dieser Dank mag höflich gemeint sein, aber er ist deplatziert, da er formuliert ist, als richte er sich an alle, was aber unmöglich so gemeint sein kann. Das kommt dann auch folgerichtig dadurch zum Ausdruck, dass das anschließende informelle Beisammensein eben nicht gemeinsam stattfindet.

Die Technik und ein vermeintlicher Livestream-Skandal

Wie berichtet, hatte die LV einen Livestream der Gemeinderatssitzung organisiert. Dabei war besonders zu Beginn der Ton zu leise, außerdem wurde der Kommentarbereich vom Chatbot einer pornographischen Seite mit entsprechenden Beiträgen geflutet. Beißende Kritik dazu gab es umgehend sowohl von der örtlichen ÖVP als auch in einem Facebookbeitrag der FPÖ. „Völlig vermasselt“ bzw. ein „Eklat“ sei diese misslungene Premiere auf eigene Faust gewesen. „Der Antrag der Liste Vorchdorf bei der Gemeinderatssitzung am 8. Februar 2022 bezüglich eines Live Streams wurde von uns bewusst abgelehnt, damit genau so etwas Unprofessionelles nicht passiert“, kommentierten die Freiheitlichen.

Die benannten Fehler sind passiert, keine Frage. Zur ganzen Wahrheit – und einer unpolemischen Kritik! – gehört allerdings: Dass technisch nicht auf Anhieb alles klappen würde, hat die LV vorab, um Nachsicht bittend, angekündigt. Grund zur Überheblichkeit hat aber niemand der Verantwortlichen. Denn in beiden Sälen der Kitzmantelfabrik war in der Vergangenheit auch für die Anwesenden mehr als einmal kaum verständlich, was in die Mikrofone gesprochen wurde. Angesichts der Qualität der Tonanlage war das erst recht einfach technisch dilettantisch.

Dass Livestreams von unerwünschten Chatbots gekapert werden, ist keine Schlamperei der LV, sondern ein verbreitetes Phänomen, auch und gerade von dem berüchtigten „naked-hd.xyz“. Selbst Google ist nicht lückenlos in der Lage, solche Bots wegzufiltern. Man muss schon die ganze Kommentarfunktion deaktivieren. Einzeln geblockte Kanäle tauchen meist nach Sekunden unter anderem Namen wieder auf. Also, das hätte auch der Gemeinde passieren können.

Schließlich muss man darauf verweisen, dass nicht die Sorge vor technischen Mängeln ausschlaggebend dafür war, dass es bisher keinen Livestream gab, sondern Bedenken einer Reihe von Mandataren hinsichtlich „Datenschutz“ oder „Persönlichkeitsrechten“, die schlicht gegenstandslos waren. Auch ohne juristische Expertise (die das Land kürzlich nachgereicht hat) hätte dies jedem klar sein können, da dieselben Gesetze selbstverständlich auch für die Livestreams inklusive Speicherung der Landtagssitzungen gelten. Da soll man schon so ehrlich sein zuzugeben, dass einem bei dem Gedanken unwohl ist, dass nicht nur Geistreiches, sondern auch der eine oder andere Blödsinn in Ton und Bild dauerhaft festgehalten wird.

Unterm Strich muss man sagen:

Es reicht! Und das geht inzwischen an alle, die sich nicht aktiv bemühen, den festgefahrenen Karren aus dem Dreck zu ziehen. Dass er überhaupt im Dreck steckt, auch daran ist niemand gänzlich schuldlos. Und ich will von niemandem hören: „Aber die haben angefangen.“ Es geht jetzt darum, einfach mit dem Hickhack aufzuhören.

 

5 Gedanken zu „Gemeinderat: Hier wendet sich der Gast mit Grausen

  1. Albert Sprung

    Die Liste für Vorchdorf hat einige ihrer wichtigsten Positionen klar dargelegt. Wenn auch vieles von der Mehrheit im Gemeinderat abgelehnt wurde, so weiß man jetzt, woran man bei den „Orangen“ ist. Dafür und für vieles andere werden wir uns die nächsten Jahre massiv einsetzen. Mit sachlichen Informationen, aber wenn notwendig, auch mit hitzigen Debatten. Ob das unseren politischen Wegbegleiter passt oder nicht. Vorchdorf ist uns dafür viel zu wichtig. Deshalb braucht es jetzt eine Kurskorrektur:
    (Redaktionell gekürzt)

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      1. ,Franz Steinhaeusler

        Hmm, die „we“ sind die, die besser kommunizieren, und nicht die, die darauf bestehen, recht haben zu müssen und andere Ansichten nicht gelten zu lassen und somit als nicht überlegungswert abzustempeln?

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  2. Wolfgang Stürmer

    Ich hätte mir nie gedacht, dass ich zum Thema „Gemeindepolitik“ jemals einen Kommentar abgeben würde. Jetzt ist es doch soweit.
    Manchmal gerät man in fast unlösbar schwierige Situationen, ohne genau zu wissen, wie es dazu kommen konnte. Für die schwierige Situation in der Vorchdorfer Gemeindepolitik trifft das für mich nicht zu.
    Wer kann sich noch an die „Karterl“ erinnern, die Jörg Haider in Wahlkämpfen in die Kameras gehalten hat, in denen er den politischen Gegner der Korruption, Freunderlwirtschaft, Unfähigkeit, eigennütziger Arbeit gegen die Interessen der Staatsbürger bezichtigt hat? Und seine Wehleidigkeit, wie er dann, trotz großartiger Wahlerfolge, überraschend keine Koalitionspartner gefunden hat? Der Wahlkampf zu den Gemeinderatswahlen hat mich stark daran erinnert, und ich habe mich gefragt, was, außer einem Wahlerfolg, das für die Gemeindepolitik bringen wird.
    Man darf nicht vergessen, emotionslose Sachpolitik einzufordern ist das eine, das Verständnis dafür aufzubringen, dass dafür ein Mindestmaß an gegenseitigem Respekt notwendig ist, das andere.

    Noch ein Kommentar zu einem konkreten Thema der Gemeinde. INKOBA. Mir hat die kurze Rede der grünen Gemeinderätin Eva Eiersebner gut gefallen. Sinngemäß – „Vergessen wir nicht den Zweck der mit INKOBA verfolgt werden soll!“
    Keine Frage, Vorchdorf bräuchte so etwas wie INKOBA nicht, dazu sind wir alleine für Gewerbebetriebe attraktiv genug. Aber vielleicht braucht eine vernünftige Raumplanung genau solche Initiativen.
    Tja, „Vorchdorf First!“, damit mag man beim Gemeindebürger schon punkten. Aber woran erinnert mich dieser Slogan bloß?

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