2. September 2022
Unser „Vorchdorfer Sommergespräch“ mit Harald Agostini hat nicht nur außergewöhnlich hohes Interesse gefunden, sondern auch Widerspruch von Reinhard Ammer (Grüne) geweckt. Die Umstände, unter denen Gunter Schimpl im Jahr 2008 mit Unterstützung der Grünen Bürgermeister wurde, waren bereits damals umstritten und sind es bis heute. Es gibt jetzt einen – vorläufig! – plausiblen Stand der Ermittlungen.
Durch „Wortbrüchigkeit der Grünen“, so Harald Agostini (SPÖ) sei es zur Wahl Gunter Schimpls gekommen; für ihn persönlich ein Tiefpunkt seiner Erfahrungen als Politiker. Es habe seit 2003, also dem Rücktritt Josef Schwahas, dem für die ÖVP Franz Kofler als Bürgermeister folgte, eine gute Zusammenarbeit der „Opposition“ gegeben, damals bestehend aus SPÖ. FPÖ, Grünen und „Alle für Vorchdorf“. Als Kofler 2008 überraschend zurücktrat, sei man daher übereingekommen, gemeinsam einen ÖVP-Bürgermeister Schimpl zu verhindern. Dass diese Absicht bestand, ist unbestritten. Tatsache ist auch, dass die Grünen im Gemeinderat dann dennoch für Schimpl stimmten, was ihm die erforderliche Mehrheit brachte – und Reinhard Ammer (Grüne) einen Sitz im Gemeindevorstand.
Alle in einem Boot, doch ohne klaren Kurs
Tritt ein Bürgermeister während seiner Amtszeit (aber mindestens nach vier Jahren) zurück, so wählt der Gemeinderat einen Nachfolger, nicht wie sonst die Bevölkerung. Offenkundig ist, dass die Opposition in Vorchdorf entschlossen war, der seit Jahrzehnten währenden Erbpacht des Bürgermeistersessels durch die ÖVP ein Ende zu machen. Logischer Gegenkandidat wäre Hermann Aigner (SPÖ) als Vertreter der zweitstärksten Fraktion gewesen. Bei einem Treffen auf Initiative der Grünen war jedenfalls Konsens, nicht Gunter Schimpl zu wählen. Warum wurde er es trotzdem?
Auch Aigner spricht in diesem Zusammenhang von Wortbruch und einem „Umfaller“. Reinhard Ammer, bis heute für Grünen-Gemeinderat hat dem INVO.report eine – aus seiner Sicht – Richtigstellung geschickt: Es habe „entgegen der Aussage von Harald Agostini im INVO.report-Sommergespräch keine Vereinbarung mit der SPÖ über das Stimmverhalten bei der Bürgermeisterwahl 2008 gegeben. (…) Die Vorchdorfer Grünen haben nach dem Rücktritt von Franz Kofler sowohl mit ÖVP als auch SPÖ verhandelt. Schlussendlich konnten konkrete inhaltliche Ziele mit der ÖVP vereinbart werden“.
Agostini widerspricht dieser Darstellung entschieden. Es habe sehr wohl ein Übereinkommen gegeben. In diesem Punkt steht Ammers Darstellung auf einsamem Posten. Denn niemand hat von einer ausformulierten, vielleicht gar schriftlich fixierten Vereinbarung gesprochen, doch das gemeinsame Ziel, einen ÖVP-Bürgeremeister zu verhindern, war Konsens – wie immer man das nennen will. Das bestätigen auch andere Beteiligte.
Gunter Schimpl hatte allerdings einen Trumpf in der Hand, den die SPÖ nicht bieten konnte: In einer Zweier-“Koalition“ von ÖVP und Grünen war ein Gemeindevorstandssitz für Ammer leicht drin. Die SPÖ hätte das in einem Bündnis von vier Parteien nicht rechtfertigen können, denn ihr standen insgesamt nur drei Sitze in dem Gremium zu, erklärt Agostini.
War den Grünen das Hemd einfach näher als der Rock?
Hinzu kam, dass Schimpl nicht mit Zusagen geizte, eine „grüne Handschrift“ unter seiner Amtsführung erkennbar werden zu lassen. Agostini weist zwar darauf hin, dass die Grünen von der SPÖ – ohne eine Vereinbarung – nach der Wahl 2003 zwei Ausschuss-Sitze bekommen hätten. Andererseits fühlten sich die Grünen aber offenbar unsicher, was Hermann Aigner „bieten“ würde. Der habe nämlich auf mehrfache Nachfrage konkrete Absprachen über politische Inhalte offenbar für verfrüht gehalten, sinngemäß: Da fließe ja noch viel Wasser die Alm hinunter.
Den internen Beschluss der Grünen, Schimpls konkretes Angebot anzunehmen, bezeichnete Ammer in der auf die Wahl Schimpls folgenden „Bürgermeister-Information“ als „schwierigste Weichenstellung in der Geschichte der Vorchdorfer Grünen“ – mit der denkbar knappen Mehrheit von einer Stimme nach heftigen Diskussionen. Folge war vor allem zwischen Roten und Grünen eine gravierende und teils bis heute auch bis ins Persönliche gehende Entfremdung, Enttäuschung und Verbitterung.
Den Grünen war erkennbar unwohl, wie aus den Rechtfertigungen in der Grünen-Zeitung zu schließen ist. Unter der Überschrift „… warum machen die das bloß?“ – nämlich plötzlich Schimpl wählen – wird die große Chance betont, grüne Politik umzusetzen. Ein ambitioniertes, vor allem zukunftsorientiertes Arbeitsübereinkommen sei mit der SPÖ nicht zu erreichen gewesen, heißt es dort. Und: …“daher konnte es selbstredend auch niemals Zusagen unsererseits über ein definitives grünes Stimmverhalten geben.“
Die Entgleisung eines führerlosen Zugs
Die Grünen hätten allerdings mit der zumindest (!) informellen Übereinkunft auch anders umgehen können: z. B. Schimpls Angebot offenlegen und die anderen, Hermann Aigner voran, fragen, ob sie sich auf etwas Gleichwertiges einlassen würden. Wäre das ergebnislos geblieben, hätte eine Aufkündigung des Oppositionsbündnisses wohl mehr Verständnis gefunden. Dass Aigner hier nicht zugegriffen hätte, ist unwahrscheinlich.
Vereinfacht zusammengefasst: Im Sinne der Durchsetzung eigener politischer Inhalte (und vor allem dafür ist eine Partei ja da) ist die Entscheidung der Grünen logisch. In der Durchführung haben sie wohl versucht, mit der SPÖ – buchstäblich – auf einen grünen Zweig zu kommen. Aber im entscheidenden Moment, aus unerfindlichen Gründen und wohl unnötigerweise, versäumten die Verantwortlichen die offene Kommunikation ihrer geänderten Pläne; mit fatalen atmosphärischen Folgen bis heute.
Seitens der SPÖ sind Enttäuschung und Frustration nachvollziehbar. Das auch deswegen, weil die Partei ihr vor allem soziales Engagement generell unzureichend gewürdigt sieht. Die Interviews mit Aigner und Agostini illustrieren das. Aber auch hier gibt es einen schwer erklärbaren Punkt. Da saßen erfahrene Parteistrategen jungen politischen Einsteigern gegenüber, die an einem Bündnis interessiert waren und den SPÖ-Kandidaten wohl unterstützt hätten. Und es entgeht den alten Hasen offenbar, dass den Grünen immer dringender konkrete Zusagen fehlen, sonst hätte man ihnen – lange vor Schimpl – doch etwas Attraktives in die Hand gegeben.
Fast ironisch ist es da, dass heute im Rückblick auf die Ära Schimpl aus der grünen Riege vereinzelt auch der Gedanke keimt, ob es nicht – durchgesetzte grüne Projekte hin oder her – vielleicht doch besser gewesen wäre, Schimpl zu verhindern.
Redaktioneller Nachtrag: Dieser Artikel entstand u. a. durch lange vertrauliche Gespräche mit Beteiligten der damaligen Ereignisse. Anliegen der Veröffentlichung ist es, Verständnis für die Fehleranfälligkeit beim politischen Handeln zu wecken – nicht vermeintlich klare Schuldzuweisungen zu proklamieren. Auf örtlicher Ebene agieren hier oft Menschen, die einander persönlich gut kennen, vielleicht sogar schätzen, aber dennoch entgegengesetzte Ziele verfolgen und daher auch das eigene Handeln mitunter anders bewerten als eben ihr Gegner.
Wie in der heutigen Ortspolitik hapert es an offener Kommunikation. Hätten die Grünen damals … hätten die Roten damals … – inhaltlich wäre man sich wahrscheinlich handelseinig geworden. Oder auch nicht, aber Verletzungen hätte man sich erspart.
Diese Recherche des INVO.report geschah im Bemühen, nach fast 14 Jahren „die beste verfügbare Version der Wahrheit“ (die Watergate-Aufdecker Bob Woodward und Carl Bernstein) herauszubekommen. Das bedeutet, es kann etwas fehlen, und wir sind für Korrekturen und Ergänzungen dankbar. Und wir wünschen sowohl den damaligen Protagonisten als auch den heute Verantwortlichen alles erdenklich Gute und viel Geschick dabei, im Umgang miteinander das Richtige zu tun.
Michael Praschma